Das verrückte Leben des Pathologen Thomas Harvey
Es gibt zufällige Ereignisse, die das Leben eines Menschen völlig aus den Angeln heben. In seinem neuen Roman ‚Einsteins Hirn‘ schildert der österreichische Schriftsteller Franzobel meisterhaft einen berühmten Fall aus der Wissenschaftsgeschichte. Es geht um Thomas Harvey, den Chef-Pathologen der Klinik in Princeton, wo Albert Einstein am 18. April 1955 seinen letzten Atemzug macht. Harvey soll das tote Jahrhundertgenie obduzieren. Einer verrückten Eingebung folgend bringt er dabei Einsteins Gehirn in seinen Besitz. Als die Sache auffliegt, erklärt er, die Wurzeln der Genialität erkunden zu wollen. Doch da ihm dazu die Expertise fehlt, verlaufen die Analysen im Sand und Thomas Harvey verliert seinen Job, seinen Ruf und seine Familie. Soweit die historischen Fakten, aus denen Franzobel eine großartige Erzählung strickt.
Ich finde: Ein literarisches Meisterwerk, das viele Leser verdient!
Vordergründig geht es in dem Roman darum, wie dieser durch und durch mittelmäßige Thomas Harvey versucht, sein aus dem Ruder laufendes Leben wieder in den Griff zu bekommen und wie ihm der Lauf der Geschichte stets neue Herausforderungen, aber auch Chancen bietet. Im Hintergrund geht es zugleich aber immer um die ganz großen Fragen: Wie entstand das Universum? Was ist Bewusstsein, was das Wesen der Wissenschaft? Worin besteht der Sinn des Lebens und wofür brauchen wir Religionen? Auf seiner Odyssee durchs ländliche Amerika der 1950er bis 1980er Jahre erörtert der rastlose Romanheld all diese Fragen in skurrilen Zwiegesprächen mit Einsteins Gehirn, das er in einem mit Formaldehyd gefüllten Glasgefäß wie eine Reliquie verwahrt.
Klingt völlig abgedreht – und ist es auch
Der Leser erlebt diesen Thomas Harvey als einen nach tiefen Wahrheiten suchenden Getriebenen der Umstände, der durch unglückliche Entscheidungen in einen gefährlichen Strudel von Ereignissen gerät – und es trotz seiner Naivität und Gutmütigkeit dennoch irgendwie schafft, immer wieder Oberwasser zu bekommen. Ob der Mann einfach nur verrückt ist oder eine Art moderner Heiliger, das bleibt bis zum Schluss offen.
Man lernt viel über das Leben und die Theorien Albert Einsteins in diesem Buch, man taucht tief ein in den metaphysischen Grenzbereich zwischen Wissenschaft, Philosophie und Religion.
Vor allem aber ist es ein unglaubliches Vergnügen, den gebrochenen Helden Thomas Harvey auf seinem krassen und von absurden Ereignissen und Wendungen geprägten Tripp durch die Weltgeschichte zu begleiten.