Seit 2012 ist Prof. Eiichiro Komatsu Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. Schon als Kind wusste der Japaner, dass er Astronom werden möchte. Heute hält er manchmal inne und ist überrascht, dass er für das, was er liebt, auch noch bezahlt wird. Für die Deutschlandfunk-Sendereihe ‚Brain Gain‘ habe ich den Spitzenforscher gefragt, wie es ihn nach Deutschland verschlagen hat. Seine Antwort: „Meine Frau hat mich eines Tages gefragt: Warum suchst Du Dir keinen Job in München?“ Hat er dann gemacht.
Fragt man Eiichiro Komatsu, warum er 2012 nach München kam, sagt er, seine Frau sei schuld daran. Nach neun Jahren in Austin, wo Komatsu zuvor Professor an der University of Texas war, seien ihr die Sommer dort zu heiß geworden.
„Meine Frau stammt aus Sendai im Norden von Japan. Temperaturen über 40 Grad, wie im texanischen Sommer üblich, machen ihr zu schaffen. Aber ich fragte mich natürlich: Warum fiel ihr das erst nach neun Jahren auf?“
„Meine Frau hat sich in die Stadt verliebt“
Eiichiro Komatsu ist klein, kräftig und quirlig. Seine Augen funkeln vergnügt, wenn er erzählt, wie er Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik wurde. Er trägt schwarze Jeans und Polo-Hemd und hat seine Sneaker gegen Hausschlappen getauscht, weil die tagsüber im Büro bequemer sind.
„Der wahre Grund, warum meine Frau wegwollte aus Austin, war ein anderer. Wir hatten im Sommer 2007, 2008 und 2010 je zwei, drei Monate in München verbracht. Ich war damals Gastforscher am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, das nur einen Steinwurf von hier entfernt ist. München im Sommer ist toll. Meine Frau hat sich in die Stadt verliebt und fragte mich irgendwann: Warum suchst Du Dir keinen Job in München? Wundersamerweise – und das war natürlich kein Zufall – klingelte kurz darauf mein Telefon und Professor Simon White, einer der Direktoren hier am Max-Planck-Institut für Astrophysik, fragte mich völlig unvermittelt: Hätten Sie Interesse, Max-Planck-Direktor zu werden?“
Eiichiro Komatsus Bescheidenheit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Frage nur wenigen Spitzenforschern jemals gestellt wird. Dass er zu den Glücklichen zählte, hat damit zu tun, dass er schon als Kind genau wusste, was er will – und zielstrebig darauf hin gearbeitet hat. Bereits in der fünften Klasse beschloss er: Ich will Astronom werden. Auslöser war ein Astronomiebuch, das ihm zufällig in die Hände kam.
„Darin war ein großes Bild des Orion-Nebels. Seine Schönheit faszinierte mich, aber ich fragte mich auch: Was ist das? Kein Stern, kein Planet, sondern ein Nebel. Wie muss man sich das vorstellen? Meine Neugier war geweckt. Das war der Moment, wo ich entschieden habe: Ich möchte Astronom werden.“
Nach der Schule studierte er deshalb an der Tohoku Universität in Sendai. Ein Kosmologe, der dort lehrte, weckte sein Interesse für die kosmische Hintergrundstrahlung.
„Er sagte mir: Mithilfe des kosmischen Mikrowellenhintergrundes kann man den Anfang des Universums sehen. Ich dachte: Mein Gott, das ist ja unglaublich! Ich war total begeistert. Es war dieser Professor, der mein Interesse am Nachglimmen des Urknalls weckte.“
Die Mikrowellenstrahlung aus den Tiefen des Alls liefert Astronomen wertvolle Einblicke in die Kinderstube und künftige Entwicklung des Kosmos. Eiichiro Komatsu hat maßgeblich dazu beigetragen – weil er zur rechten Zeit am rechten Ort war. Als er 1999 während seiner Doktorarbeit für ein Jahr nach Princeton ging, wurde dort gerade eine Raumsonde namens WMAP entwickelt, die die kosmische Hintergrundstrahlung präziser als je zuvor kartieren sollte. Sein Betreuer sagte ihm: Wenn Du Dich richtig ins Zeug legst, kannst Du es vielleicht schaffen, Teil des Teams zu werden, das die Daten auswertet.
Eiichiro Komatsu arbeitete zweieinhalb Jahre hart und entwickelte erst ein Konzept und dann ein Computerprogramm, mit dem sich eine neue Messgröße aus den WMAP-Daten extrahieren ließ. Mit ihrer Hilfe ließ sich Jahre später zeigen, dass die roten und blauen Flecken auf der Mikrowellenkarte des Universums, das Resultat zufälliger Quantenfluktuationen sind. Während der rasanten Expansion nach dem Urknall bildeten diese Quantenfluktuationen die Keimzellen aller Strukturen im Kosmos.
„Dieses Experiment hat mein Leben verändert. Hätte WMAP keine so tollen Ergebnisse geliefert, wäre ich wohl zurück nach Japan gegangen – und hätte der Wissenschaft womöglich den Rücken gekehrt. Ich bin den Kollegen bis heute dankbar, dass ich Teil dieses Teams sein durfte.“
Wie das Universum begann und wie es sich künftig entwickeln wird – diese Fragen treiben Eiichiro Komatsu bis heute um. Durch seinen Job als Max-Planck-Direktor hat er alle Freiheiten und Möglichkeiten, die er sich nur wünschen kann – und ist sich durchaus bewusst, wie privilegiert er ist.
„Manchmal, wenn ich eine Pause mache und bei einem Bier in einer Kneipe sitze, denke ich: Wow. Ich untersuche den Anfang und die Zukunft des Universums. Und ich werde auch noch dafür bezahlt. Das ist grandios.“
Wenn der japanische Physiker mal Stress hat, spielt er Klavier, um runterzukommen, am liebsten die Nocturnes von Chopin. Auf dem Weg zur Arbeit liest er gern die surrealen Geschichten von Haruki Murakami. Bei gutem Wetter spielt er sonntags Baseball mit Landsleuten und geht danach mit ihnen ein Bier trinken. Was Biergärten und Brauereien in München angeht, gibt sich Komatsu auf seiner Webseite mit zahlreichen Tipps als Experte zu erkennen. Und obwohl man in München gut mit Englisch durchkommt, ist sein Deutsch inzwischen gut genug, um in der Landessprache zu bestellen.
„So I went to a beergarden and I said: Ein Maß Bier bitte. And then the server said: No, no, no – eine Maß. So she corrected me. And I’m so grateful.“
Seinen Studenten, Doktoranden und Postdocs legt Eiichiro Komatsu nahe, ihren eigenen Weg zu gehen. Denn nur wer ausgetretene Pfade verlasse, sagt er, habe eine Chance, dauerhafte Spuren zu hinterlassen.
„Wenn man Probleme angeht, mit denen sich noch keiner befasst hat, ist alles, was man tut, neu. Das ist der effizienteste Weg, um als Wissenschaftler einen wichtigen Beitrag zu leisten.“