Cecilia Laschi hat das millionenschwere EU-Forschungsprojekt ‚Octopus‘ koordiniert, das den Weg bereiten sollte. Im Juni 2014 präsentierte sie die Ergebnisse auf einem ‚Soft Robotics‘-Symposium in Stuttgart: „Unser Ziel war es, die Entwicklung von Robotern aus flexiblen Materialien voran zu treiben. Als Inspiration dienten uns Tintenfische. Diese Tiere besitzen kein Skelett und können sich dennoch fortbewegen, Dinge greifen und manipulieren. Mich hat beeindruckt, wie Oktopusse ihren Körper verändern können. Sie können fast jede Form annehmen und sich durch zentimeterbreite Öffnungen zwängen. Heutige Roboter können sowas nicht.“
Cecilia Laschis Vision sind wandlungsfähige Maschinen, die situationsabhängig ihre Form verändern, um bestimmte Aufgaben zu meistern. „Natürlich sind wir noch sehr weit davon entfernt, Roboter zu bauen, die sich wie ein Krake durch den Hals einer Flasche zwängen können. Aber wir haben einen schwimmenden Roboter gebaut, der Gegenstände am Meeresboden berühren kann, ohne sie zu beschädigen. Vielleicht werden solche weichen Maschinen künftig Schiffswracks oder ähnliches erkunden.“
Die Videos aus dem Labor zeigen, einen handtellergroßen Plastikkörper, der auf sechs Silikon-Tentakeln gemächlich über den Boden eines Wasserbeckens krabbelt. Vorne dran befinden sich zusätzlich zwei etwas längere und dickere Fangarme. Mit ihrer Hilfe kann der Robo-Octopus Gegenstände ertasten und festhalten. „Bewegt werden diese Manipulationsarme von Federn aus Formgedächtnislegierungen. Das sind Drähte, die ihre ursprüngliche Form annehmen, sobald man sie aufheizt. Wir müssen bloß einen Strom hindurch schicken – schon ziehen sie sich zusammen. Wir haben ringförmige Muskeln, die den Durchmesser des Armes verringern und ihn so verlängern. Und wir haben längs angeordnete Federn, die den Arm wieder verkürzen. „
Die flexiblen Muskeln können die Greifarme in jede gewünschte Richtung biegen. Ihre Bewegung im Wasser wirkt ähnlich geschmeidig wie die echter Tentakel. Auch den Wasserstrahlantrieb, mit dem Tintenfische schwimmen, konnten die Forscher erfolgreich imitieren. Die Steuerelektronik des Robo-Octopus ist aber noch nicht biegsam, genauso wenig die Batterien für die Stromversorgung. Momentan erfolgt die noch über Kabel.
„Wir haben unseren Roboter in einem Hafenbecken ins Wasser geworfen. Er ist geschwommen und dann über die Felsen am Grund gekrabbelt, ohne die Muscheln, die dort wachsen, zu beschädigen.“
Ob die Nachfolger des Weichlings künftig einmal Korallenriffe kartieren, Unterwasser-Turbinen inspizieren oder Militärhäfen auf Minen absuchen? Denkbar wäre vieles. Im Folgeprojekt PoseiDrone entwickeln Forscher die Technologie jetzt weiter. Doch die elastischen Tentakel mit ihren flexiblen Muskeln und Sensoren werden auch auf dem Trockenen Anwendung finden, ist Cecilia Laschi überzeugt: „In einem EU-Folgeprojekt entwickeln wir ein Endoskop, dessen Steifigkeit der Arzt während einer Untersuchung verändern kann. Damit ließe sich verhindern, dass bei minimal-invasiven Operationen empfindliches Gewebe verletzt wird. Außerdem sind wir dabei, unsere Erkenntnisse auf Industrieroboter zu übertragen. Wir wollen einen Greifer entwickeln, mit dem die Lebensmittelindustrie Obst und Gemüse sortieren kann. Oder Helfer für die Luftfahrtindustrie. Bei Flugzeugen sind kritische Bauteile – etwa in einem Triebwerk – oft schwer zugänglich. Ein Wartungsroboter, den man zusammen quetschen kann wie einen Oktopus, wäre da sehr praktisch.“
Noch ist das Zukunftsmusik. Doch viele der Komponenten, die nötig sind, um die kühne Vision von verformbaren Maschinen zu verwirklichen, werden schon erprobt: Flexible Elektronik aus Plastik wird immer leistungsfähiger; elastische Sensoren, die dehnbar wie Gummi sind, werden ständig robuster und vielseitiger; künstliche Haut, die Maschinen ein Gespür für ihre Umgebung verleiht, wird immer sensibler; und alle paar Wochen veröffentlichen Forscher neue Arbeiten über noch kräftigere künstliche Muskeln auf der Basis von elektroaktiven Polymeren, Formgedächtnislegierungen oder Kohlenstoffnanoröhren.
Im August 2014 zum Beispiel präsentierten Harvard-Forscher eine Art Origami-Roboter: Eine millimeterdünne Folie, die sich wie von Geisterhand bewegt zu einem vierbeinigen Gebilde faltet und davon krabbelt. Allerdings wirken die Bewegungen noch so unbeholfen, dass diese Art weicher Roboter in den nächsten Jahren sicher keinem konventionellen Blechkameraden Konkurrenz macht.
Maschinen aus weichen Materialien, die so feinfühlig und geschmeidig agieren, wie biologische Vorbilder – das ist das Fernziel der Entwickler. Die ersten Schritte auf dem Weg dorthin sind derzeit in dutzenden Labors zu bestaunen. Bis die Grundlagenforschung in serienreife Produkte mündet, werden aber noch Jahre vergehen. Die Robotik-Experten beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen arbeiten deshalb an einer Zwischenlösung.
„Jetzt sind wir hier bei der neuesten Entwicklung“, sagt Alin Albu-Schäffer. Er steht vor ‚HASI‘, dem Hand-Arm-System: Ein mannshoher Torso, bestückt mit zwei Armen, deren Funktionalität dem menschlichen Vorbild ähnelt – inklusive Hand mit fünf Fingern. „Was sie sehen: Ich kann mit dem Roboter immer interagieren. Ich kann ihn an der Hand fassen, ich kann ihm Bewegungen vorführen.“
Der Ingenieur schiebt und zieht die rechte Hand des Roboters in immer neue Positionen. Der Roboter leistet je nach Programmierung mal mehr, mal weniger Widerstand gegen bestimmte Bewegungen und verharrt dann automatisch in der Endposition. All das können die neuesten kommerziellen Assistenzroboter auch schon. Doch HASI kann noch mehr. „Der Unterschied ist jetzt bei diesem neuen Roboterkonzept, dass der Roboter nachgiebig ist, auch wenn die Motoren komplett ausgeschaltet sind. Jetzt sind die Motoren komplett ausgeschaltet. Und sie sehen: Das ist praktisch die intrinsische Steifigkeit des Systems. Sie sehen: Das ist sehr sehr nachgiebig.“
Drückt man HASIs Hand jetzt nach hinten, gibt der Arm ein paar Zentimeter nach und federt dann wie ein träges Pendel zurück. Mechanische Federn in jedem Gelenk machen’s möglich, erklärt Projektleiter Sebastian Wolf. „Wir können die Nachgiebigkeit auch verstellen. Also ähnlich wie der Mensch: Wir können die Muskeln anspannen oder locker lassen. Das sehen wir jetzt hier aktuell. Sie sehen: Der Roboter hebt sich ein Bisschen aus der Gravitation heraus und spannt seine Muskeln an. Dadurch ändert sich dann die Frequenz mit der er schwingt. Und je nachdem, was man mit dem Roboter gerade machen will, ist es eben vorteilhaft, die Muskeln anzuspannen oder locker zu lassen. Ähnlich wie der Mensch auch: Je nachdem, was man gerade in die Hand nehmen will, hat man’s lieber leicht uns soft in der Hand oder eben angespannt, damit’s einem nicht aus der Hand fällt.“
Die eingebaute Elastizität hat ihren Preis. Die Zahl der Antriebe pro Gelenk verdoppelt sich. 52 Elektromotoren stecken in jedem Arm. Sie samt Steuerelektronik darin unterzubringen, war knifflig, sagt Sebastian Wolf: „Diese Technologie, dass wir diese echten mechanischen Federn in dem System haben, das bietet ganz neue Möglichkeiten in unserem robotischen Umfeld. Eben, dass wir einen robusteren Roboter erhalten, und dass wir diese Energien auch nutzen können, um Bälle zu werfen oder schnelle Bewegungen auszuführen – ähnlich wie der Mensch.“
Weil HASIs Gelenkfedern potenzielle Energie speichern, kann er seine Muskeln vorspannen und dann zurück schnellen lassen – wie ein Handballspieler, der mit Wucht aufs Tor wirft. Auf diese Weise lassen sich kraftvolle und schnelle Bewegungen erzielen, die ähnlich kompakte Roboterarme bislang nicht schaffen. Ein weiterer Vorteil der eingebauten Elastizität: Sie schützt bei Kollisionen. Und zwar auch dann, wenn das Steuerungsprogramm, das die Maschine zähmt, einmal abstürzen sollte. Für künftige Mensch-Maschine-Interaktionen am Fließband oder im Haushalt ein Sicherheitsvorteil, betont Alin Albu-Schäffer: „Wenn man diese Nachgiebigkeit physikalisch realisiert, ist die auch beim vollständigen Versagen der Software immer noch da. Sie haben eine Restsicherheit, zum einen. Zum andern haben sie eine Nachgiebigkeit, die ihrer Software die Zeit gibt, auch auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Sie müssen sich vorstellen: Wenn sie mit einem starren Roboter gegen einen Tisch fahren oder einen Menschen berühren, dann bauen sich innerhalb kürzester Zeit sehr große Kräfte auf. Durch diese elastische Aktuierung haben sie einfach eine gewisse Zeit, die notwendig ist, um diese Feder zu spannen. Und in dieser Zeit baut sich die Kraft nur recht langsam auf. Dadurch haben sie Zeit, entsprechend zu regieren, zum Beispiel den zu stoppen, die Richtung zu ändern oder über Software noch nachgiebiger zu machen. „
„Es muss ein Roboter sein, der für Menschen nicht gefährlich ist“
Der klügere Roboter gibt nach. Genau wie wir Menschen, wenn wir bei einem Sturz instinktiv unsere Muskeln lockern, um den Aufprall zu dämpfen. Weichheit macht robuster und hilft unerwartete Ereignisse heil zu überstehen. Das gilt für Menschen und Maschinen, sagt Alin Albu-Schäffer: „Ich bin mir sicher, dass Roboter, die sich zwischen Menschen bewegen – sagen wir mal die Fernvision eines Haushaltsroboters, der Ihnen hilft den Frühstückstisch abzuräumen – dass dieser Roboter kein starrer, stur vorgegebenen Bahnen folgender Roboter sein wird, sondern ein nachgiebiger. Es muss ein Roboter sein, der für Menschen nicht gefährlich ist, der auch mal Fehler machen kann, irgendwo dagegen stoßen kann, ohne kaputt zu gehen oder irgendwas zu zerstören. Das heißt, in unbekannten Umgebungen, in schwer modellierbaren, veränderlichen Umgebungen werden wir diese Nachgiebigkeit brauchen. Definitiv.“
Diese Erkenntnis hat sich vielerorts durchgesetzt. Der schwäbische Maschinenbauer FESTO aus Esslingen zum Beispiel präsentierte 2010 den Prototypen eines ‚bionischen Handlingassistenten‘, dessen Form und Funktionsweise einem Elefantenrüssel nachempfunden ist. Der armlange Rüssel, dessen Entwickler 2010 den Deutschen Zukunftspreis erhielten, besteht fast komplett aus Plastikbauteilen aus dem 3D-Drucker. Seine balgförmigen Muskeln werden von Druckluft angetrieben, genau wie der sensible dreifingrige Greifer an seiner Spitze. Weil der bionische Arm nur zwei Kilogramm wiegt und seine pneumatischen Muskeln nachgiebig sind, ist er für Menschen ungefährlich. Der Ingenieur Dr. Peter Post, bei FESTO für die Technologieentwicklung zuständig, formulierte es damals so.
„Es passiert nichts, wenn dieser Handling-Assistent gegen mich, meinen Arm oder selbst mein Gesicht, dagegen kommt. Das ist ein nachgiebiges elastisches System. Ich sag‘ spaßeshalber immer: Ich könnte mich in einen ganzen Wald solcher Handling-Assistenten hineinsetzen, ohne dass mir etwas passieren würde. Diese Nachgiebigkeit ist eigentlich auch das Alleinstellungsmerkmal von unserem System. Und dadurch haben wir die Sicherheitsfunktion von vornherein integriert.“
Und das, schwärmten die Entwickler damals, mache völlig neue Anwendungen denkbar. So könnte der flexible Rüssel einmal beim Äpfelpflücken helfen oder einem Automechaniker unter der Hebebühne Werkzeuge reichen. Er könnte Kranken das Kissen aufschütteln oder einem Rollstuhlfahrer im Supermarkt die Cornflakes aus dem Regal angeln. Fünf Jahre später ist noch keine dieser Visionen Wirklichkeit, doch bei FESTO arbeitet man daran. Dank eingebauter Kamera kann der Rüssel Objekte inzwischen eigenständig erkennen und greifen. Er reagiert auf Sprachbefehle und rollt auf einer fahrbaren Plattform durch den Raum.
„Und das hat insgesamt das Feld voran gebracht, auch die Aufmerksamkeit auf das Feld gerichtet. Ich weiß, dass das System noch im Entwicklungsstadium ist. Wir werden auf jeden Fall in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Ansätzen auf dem Markt sehen. Und da werden bestimmt unterschiedliche Nischen für unterschiedliche Produkte sein.“
Die erste Generation nachgiebiger Roboter sind mittels Elektronik und Software ‚verweichlichte‘ Blechkameraden und gerade auf dem Vormarsch an die Werkbänke. Ihre Ankunft wird eine neue Ära der Mensch-Maschine-Interaktion einläuten. Alin Albu-Schäffer: „Man ist jetzt gerade in dem Übergangsprozess, in dem die Zulassungsprozeduren ausgearbeitet werden. Der Gesetzgeber bewegt sich jetzt auch nach und nach und passt sich dieser neuen Situation an. Man muss tatsächlich auch ein Bisschen herausfinden: Wo sind die Grenzen des Machbaren? Man fängt vielleicht ein Bisschen konservativ an, weil man ja auf keinen Fall Unfälle verursachen will, um das Feld nicht in einen schlechten Ruf zu bringen. Das heißt, man fängt jetzt mit konservativen Grenzwerten an und wird sich über die Jahre, wenn immer mehr Arbeitsplätze mit solchen Robotern ausgestattet sind, da hintasten, wo das Optimum liegt.“
Die ‚Soft Robots‘ der zweiten Generation, die zumindest zum Teil aus weichen Materialien bestehen, benötigen noch Jahre der Entwicklung. Um sie voranzutreiben, sagt Cecilia Laschi, komme es jetzt vor allem auf eines an: Zu demonstrieren, dass Maschinen aus Silikon, Gummi und Co. bestimmte Aufgaben tatsächlich effektiver lösen als heutige Roboter: „Die vielen Prototypen, die entwickelt wurden, beweisen: Weiche Roboter sind prinzipiell machbar. Was wir jetzt brauchen, sind richtige Anwendungen.“