Das 9. EU-Forschungsrahmenprogramm ‚Horizon Europe‘ ist in Brüssel unter die Räder gekommen. 2018 waren im Haushaltsentwurf noch rund 94 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Nach dem EU-Ratsgipfel im Juli 2020 war diese Summe – wegen knapper Kassen aufgrund der Corona-Pandemie – auf 80 Milliarden Euro geschrumpft: Ein Minus von 15 Prozent. Unterm Strich stand damit kaum mehr als beim auslaufenden 8. EU-Forschungsrahmenprogramm ‚Horizon 2020.‘ Das sei zu wenig, kritisiert Dr. Jan Wöpking, der Geschäftsführer des deutschen Universitätsverbundes German-U15:
„Wenn Europa ein weltweit führender Wissenschafts- und Innovationsstandort sein will, muss sich das auch stärker finanziell abbilden. Und da sagen eigentlich alle Experten: Dafür reichten diese Summen nicht. 2017 gab es diese Expertenkommission unter Pascal Lamy, und die hat gesagt: Wir brauchen 120 Milliarden Minimum, sonst verliert Europa an Schwung und wir kriegen unsere eigenen Ziele nicht erreicht.“
Weil eine Stagnation der Fördermittel für Wissenschaft schwer vereinbar ist, mit dem erklärten Anspruch Europas, bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien in der ersten Liga zu spielen, regte sich seit Monaten Widerstand gegen den Raubbau am Forschungsbudget.
21. Juli 2020
Gegenüber der Webseite ScienceBusiness sagt der Brandenburger Europaabgeordnete Christian Ehler, der an den Verhandlungen über Horizon-Europe beteiligt war, die Sparmaßnahmen gefährdeten Europas Wettbewerbsfähigkeit.
„Sie bedeuten ein ‚Nein‘ für Innovationen. Die Kürzungen beim Forschungsetat werden Europas Rückstand gegenüber globalen Wettbewerbern zementieren.“
16. September 2020
Dem Fachmagazin Nature sagt Jean-Pierre Bourguignon, der Präsident des Europäischen Forschungsrates, er verstehe nicht, warum das Budget der renommierten Einrichtung zur Förderung von Spitzenforschern in Europa, um 10 Prozent gekürzt werden soll, auf 13,4 Milliarden Euro. Eine Pandemie sei der falsche Zeitpunkt, um Mittel für die Grundlagenforschung zu streichen, so Bourguignon. Er fordert: Die Entscheidung muss rückgängig gemacht werden.
1.Oktober 2020
Die Präsidenten der vier großen deutschen Forschungsorganisationen – Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft sowie Leibniz- und Helmholtz-Gemeinschaft – veröffentlichen in der Wochenzeitung ‚DIE ZEIT‘ einen Appell, Europas Zukunft nicht kaputt zu sparen: Eine Kürzung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung sei ein fatales Signal.
„Will Europa seinen Platz in der Welt behaupten, müssen wir technologisch souverän werden. Das heißt, Top-Positionen in strategisch wichtigen Feldern wiederzuerlangen und gezielt in Spitzenforschung und den Transfer der Ergebnisse in die Anwendung zu investieren. Die Ausgaben für die Forschung zu kürzen ist falsch und langfristig nicht zielführend.“
7. Dezember 2020
Über 1850 Wissenschaftler, darunter einige Nobelpreisträger, haben einen offenen Brief der Kampagne ‚Rescue Horizon Europe‘ unterzeichnet. Das Schreiben warnt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eindringlich vor den Folgen der Kürzungen des EU-Forschungsetats von 2021 bis 2027.
„Die drastischen Einsparungen werden einen verheerenden Effekt auf unsere Fähigkeiten haben, die großen globalen Herausforderungen unsere Zeit anzugehen – Klimawandel, Pandemien, Quantentechnologie, künstliche Intelligenz und personalisierte Medizin. Sie werden unweigerlich zu einem Exodus wissenschaftlicher Exzellenz führen, zu technologischen Abhängigkeiten und schlechterer Gesundheitsvorsorge.“
Die Hoffnung der Kritiker: Man könnte es irgendwie noch schaffen, das Schlimmste zu verhindern. Schützenhilfe gibt’s aus Straßburg, wo EU-Parlamentarier als Wunschziel sogar ein Forschungsbudget in Höhe von 120 Milliarden Euro formuliert haben, also 40 Milliarden mehr als derzeit veranschlagt. Am 10. November war ein kleiner Etappensieg zu verzeichnen. Da gab’s 4 Milliarden Euro zusätzlich. Und die spannende Frage mit Blick auf morgen, wo in Brüssel über das EU-Budget entschieden werden soll, war das schon alles? Oder ist da vielleicht noch mehr drin? Darüber habe ich für das Deutschlandfunk-Wissenschaftsmagazin ‚Forschung aktuell‘ mit Dr. Jan Wöpking vom Universitätsverbund German-U15 gesprochen.
Meine erste Frage an ihn: Statt 80 Milliarden Euro sind aktuell 84 Milliarden im Topf für ‚Horizon Europe‘. Das entspricht einem Zuwachs von 5 Prozent zum Vorgänger-Programm und müsste doch eigentlich reichen, oder?
Hier kann man das komplette Interview nachlesen: Link