Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895-1945
Sachbuch von Tobias Hürter (Klett-Cotta 2021)
Rezension vom 17.12.2021
In seinem neuen Buch schildert der Wissenschaftsjournalist Tobias Hürter auf fesselnde Weise, wie die Quantentheorie das Licht der Welt erblickte, wie ihre geistigen Väter tickten und wie die bewegte Zeit, in der sie wirkten, ihr Privat- und Berufsleben durcheinander wirbelte.
„Das Buch zeichnet ein facettenreiches Porträt einer Epoche, in der ein Dutzend brilliante Köpfe die Welt aus den Angeln hoben und dann selbst zu Spielbällen des Weltlaufs wurden. Tobias Hürter hat Meilensteine der Wissenschaftsgeschichte in einen Pageturner verpackt, den auch physikalische Laien mit viel Interesse und Gewinn lesen dürften.“
Vor 100 Jahren stellte ein Dutzend Physiker unser Weltbild auf den Kopf. Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr, Wolfgang Pauli, Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger und andere waren die Wegbereiter der Quantentheorie. Sie besagt, dass Materiebausteine wie Atome und Elektronen eine Wellennatur haben. Mit der Folge, dass nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über ihren Aufenthaltsort möglich sind, sie sich an mehreren Orten gleichzeitig befinden können und jede Beobachtung ihren Zustand verändert. Die präzise Vermessung der Wirklichkeit, stieß damit plötzlich an fundamentale Grenzen. Unsere Vorstellung von Realität geriet ins Wanken.
„Gott würfelt nicht“, dachte Einstein – und lag daneben
Heute gilt die Quantentheorie als die am genauesten bestätigte wissenschaftliche Theorie aller Zeiten. Mobiltelefone und Kernspintomographen, Internet und Satellitennavigation beruhen auf ihren bizarren Gesetzen. Doch ihre Interpretation gibt bis heute Rätsel auf.
„Wer glaubt, die Quantentheorie verstanden zu haben, hat sie nicht verstanden.“ (Richard Feynman)
Ähnlich wie Florian Illies in seinem Bestseller 1913 nähert sich Tobias Hürter den Protagonisten der Quantenrevolution szenisch an. Er beschreibt ihre Lebensumstände, Gedankengänge und Begegnungen plastisch und stützt sich dabei auf eine Fülle biographischer Details und schriftlicher Quellen. Das Ergebnis: Ein fundiert recherchiertes Sachbuch, das sich wie ein packender Roman liest und von der ersten bis zu letzten Seite in seinen Bann zieht. Der Leser hat das Gefühl, den Quantenrevolutionären beim Denken über die Schulter zu schauen und bekommt ein Gespür für die philosophischen und menschlichen Abgründe, mit denen sie sich konfrontiert sahen.
Auf die Euphorie der Entdeckung folgte Ernüchterung
Albert Einstein zum Beispiel, der seinen Physik-Nobelpreis für seinen Beitrag zur Quantentheorie erhielt, beharrte Zeit seines Lebens darauf, dass Gott nicht würfelt. Auch Erwin Schrödinger, der 1925 im Skiurlaub seine berühmte Wellengleichung zu Papier brachte, war von deren Wahrscheinlichkeitsinterpretation durch Max Born gar nicht begeistert. Deshalb ersann er das verrückte Gedankenexperiment mit der Katze in der Box, die gleichzeitig tot und lebendig ist, solange keiner nachschaut, wie es ihr geht. Werner Heisenberg, der auf Helgoland als erster die Grundzüge der Quantenmechanik formulierte, avancierte im Dritten Reich zum Leiter des Atombombenprojektes. Darüber zerstritt er sich mit seinem langjährigen Freund und Mentor Niels Bohr, der vor den Nazis nach England floh.
Meilensteine der Wissenschaftsgeschichte, verpackt als Pageturner
Tobias Hürters Buch zeichnet ein facettenreiches Porträt einer Epoche, in der ein Dutzend brilliante Köpfe die Welt aus den Angeln hoben und dann selbst zu Spielbällen des Weltlaufs wurden. Er hat die Meilensteine der Wissenschaftsgeschichte in einen hintergründigen Pageturner verpackt, den auch physikalische Laien mit viel Interesse und Gewinn lesen dürften.
Das Zeitalter der Unschärfe
Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895-1945
Sachbuch von Tobias Hürter
Klett-Cotta-Verlag, 398 Seiten, 25 Euro