In einem Kommentar für den Deutschlandfunk habe ich erklärt, warum wir in Deutschland derzeit immer tiefer in die Corona-Krise schlittern. Mein Fazit:
Der kollektive Weckruf, der dringend nötig wäre, um die Menschen aus der grassierenden Corona-Lethargie zu holen, blieb leider aus.
Diese Woche hagelte es Hiobsbotschaften von der Corona-Front. Die Infektionszahlen steigen rasant weiter, auf weltweit rund 21 Millionen. Und auch in Deutschland, wo die Zahl der Neuinfektionen lange vor sich hindümpelte, spitzt sich die Lage wieder zu. Weit über tausend neue Fälle pro Tag wurden letztens registriert. Die über sieben Tage gemittelte Reproduktionszahl liegt über dem kritischen Schwellwert von eins. Im Klartext heißt das: Die zweite Infektionswelle rollt. Das Virus ist trotz aller Schutzmaßnahmen auch hierzulande wieder auf dem Vormarsch.
Eigentlich müssten deshalb überall die Alarmglocken schrillen. Doch passiert ist wenig. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bezeichnete die Entwicklung im Deutschlandfunk als „ohne Zweifel besorgniserregend“. Und die Bundesregierung rief die Bürger einmal mehr auf, achtsam zu bleiben. Der kollektive Weckruf, der dringend nötig gewesen wäre, um die Menschen aus der grassierenden Corona-Lethargie zu holen, blieb leider aus.
Dieses Versäumnis könnte uns noch teuer zu stehen kommen – mit Blick auf die Gesundheit und die Wirtschaft. Denn das Virus ist immer noch mitten unter uns und nutzt jede Nachlässigkeit, um sich weiter zu verbreiten. Aktuell helfen ihm dabei die vielen Reiserückkehrer. In Nordrhein-Westfalen etwa entfällt ein Viertel der bestätigten Neuinfektionen auf diese Gruppe: Menschen, die dachten, sie könnten in Spanien, Kroatien oder den Niederlanden Urlaub vom neuartigen Corona-Virus machen.
Doch Viren machen keine Sommerferien.
Diese banale Erkenntnis hat offenbar auch viele junge Menschen noch nicht erreicht. Ein Drittel der Deutschen unter 29 Jahren ist überzeugt: Das Coronavirus ist keine große Gefahr für mich. Die Statistik gibt ihnen zwar Recht: Covid-19 ist vor allem für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen lebensgefährlich. Aber daraus zu folgern, man könne in Kneipen, Parks und Cafés jetzt wieder feiern und chillen wie früher, ist leichtsinnig und unverantwortlich.
Weil die Jungen mobil sind und viele Kontakte pflegen, stecken gerade sie häufig andere an.
Diese Gruppe von ‚Unbesorgten‘ zu sensibilisieren und zur Not auch mit Bußgeldern zur Vernunft zu bringen, ist eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Wochen. Denn neben jenen, die sich im Urlaub angesteckt haben, sind es die Gleichgültigen, die das Virus gegenwärtig in die Fläche tragen. Während lange nur einzelne Hotspots wie Schlachtbetriebe und Gemüsehöfe das Problem waren, gibt es inzwischen viele kleine Virusherde, verteilt übers ganze Bundesgebiet. Den Vormarsch der Seuche zu stoppen, wird dadurch immer schwieriger.
Wenn wir die zweite Infektionswelle bremsen wollen, müssen wir die Zahl der Neuinfektionen pro Tag wieder unter tausend drücken – und zwar bevor im Herbst die Grippesaison beginnt. Gelingen kann das nur, wenn wir alle an einem Strang ziehen und sofern die immer noch hohe Zustimmung für die Krisenbewältigungsstrategie der Regierenden nicht weiter bröckelt.
Vertrauen ist der Kitt für kollektives Handeln.
Deshalb ist es natürlich fatal, wenn in Bayern tagelang Bescheide liegenbleiben, die 900 positiv getestete Reiserückkehrer darüber informieren, dass sie eine Gefahr für ihre Mitmenschen sind. Und es schadet der Glaubwürdigkeit des Robert-Koch-Instituts, dass auf dessen Webseite am Mittwoch fälschlicherweise verkündet wurde, bereits diesen Herbst könnte ein Corona-Impfstoff verfügbar sein. Tatsächlich könnte es ein Vakzin für die breite Bevölkerung allerfrühestens im nächsten Frühjahr geben. Wir müssen ohne Impfstoff über den Winter kommen. Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin etwas anderes behauptet, hat er sicher nicht die Gesundheit der Menschen im Sinn.
Wir dürfen uns beim Kampf gegen die Corona-Pandemie weder von wilden Versprechungen noch von Verschwörungstheoretikern in die Irre führen lassen. Was zählt, ist auf dem Platz – jeder Einzelne im Alltag.
Und wir wissen ja alle, was zu tun ist: Abstand halten, Kontakte reduzieren, Maske auf im öffentlichen Raum. Wenn wir in Deutschland weiter so glimpflich wie bisher durch diese globale Gesundheitskrise kommen wollen, müssen wir gemeinsam als Team antreten – mit dem klaren Ziel, das Virus wieder in seine Schranken zu weisen. Scheitern ist keine Option. Denn dann könnten sehr viel drastischere Einschränkungen des öffentlichen Lebens nötig werden, als die, die wir schon kennen.
Dieser Kommentar wurde am 16. August 2020 in der Deutschlandfunk-Reihe ‚Themen der Woche‘ ausgestrahlt.